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Darf ich mein Unternehmen beenden?

Lebenswert Blog

Darf ich mein Unternehmen beenden?

Die erste Antwort lautet: „Ja! Es ist ja Dein Unternehmen, Du kannst damit tun, was Du willst!“
Aber gilt dies auch, wenn das Unternehmen im sozialen Bereich tätig ist, hilfsbedürftige Kunden betreut und eine zweistellige Zahl von Mitarbeitern beschäftigt?

Heiner S. (Name natürlich geändert) überlegt schon lange. Seit 13 Jahren führt er sein Unternehmen. Der Ertrag ist immer schlechter geworden und liegt schon unter dem, was Heiner zum Leben braucht. Er hat optimiert, was zu optimieren ging. Doch in der Zange zwischen gesetzlichen Vorschriften einerseits und durch Verbände limitierten Preisen auf der anderen Seite, gibt es kein Entweichen. Nur ein Ausweichen in den Graubereich oder die radikale Umstellung des Geschäftskonzeptes, beispielsweise ins Luxussegment. Das käme vom Aufwand her einer Neugründung gleich.

Heiner S. will neue Wege gehen. Ganz neue Wege. Persönlich haben sich seine Präferenzen geändert und er möchte die schon in den letzten Jahren aus Interesse besuchten Weiterbildungen ausbauen und einen neuen Beruf ergreifen. Aber geht denn das? Verkaufen läßt sich ein wirtschaftlich so schwierig dastehendes Unternehmen sicher kaum. Und er kann doch nicht einfach das Unternehmen schließen! Soll er die Kunden die 40 Kilometer bis in die nächstgrößere Stadt fahren lassen? Und was wird aus den Mitarbeitern?

Heiner S. war beim Workshop „Firma, Familie, Finanzen“ und wir haben das Thema mit Hilfe einer Systemaufstellung angeschaut. Dabei fand der wesentliche Prozeß zwischen den Repräsentanten von Heiner S. und den Mitarbeitern statt – genau in dem Moment, als der Focus von den schwierigen Auswirkungen einer Betriebsschließung zum Guten der 13 Jahre des Bestehens gelenkt wurde. Denn immerhin: 13 Jahre lang besteht das Unternehmen! 13 Jahre lang werden Mitarbeiter beschäftigt und Kunden betreut. Das ist eine große Leistung, die Heiner S. in diesen Jahren erbracht hat.

Es kann sein, daß dieses Gute nun bald aufhört. Und dennoch ist es Würdigung wert. Interessant war in der Aufstellung die Reaktion des Repräsentanten der Mitarbeiter. „Ich habe gedacht: Das kann der doch nicht machen! Ich kam mir vor wie ein kleines trotziges Kind. Erst als mir klar war, daß er es ernst meint, wurde ich wieder groß und habe überlegt, was ich nun für mich und meine Familie tun könnte.“

Ja, ihr Unternehmer, ihr dürft Euer Unternehmen auch beenden! Die meisten von Euch werden, da bin ich mir sicher, ohnehin Kunden und Mitarbeiter dabei so gut wie möglich beim Übergang unterstützen. Dank oder Verständnis von Euren Mitarbeitern solltet ihr dabei aber lieber nicht erwarten, zumindest nicht in der ersten Zeit. Denn wer oben steht, bietet sich als Projektionsfläche an. Und in Zeiten einer Betriebsschließung werden Euch zuerst Angst und Wut erreichen. Aber ist es denn besser, erst auf die Insolvenz zu warten?

Ihr werdet in so einem Moment den Mut haben müssen, zu gehen, auch wenn scheinbar alle um Euch herum erwarten, daß ihr bleibt. Gute Künstler haben dieses Problem an jedem Abend. Aus deren Erfahrung könnt ihr sehen: Wenn die anderen begriffen haben, daß ihr es ernst meint und wirklich nicht wieder kommt, werden sie ihre Sachen nehmen, nach Hause gehen und ihr Leben auch ohne Euch weiterleben. Solange allerdings noch irgendeine Chance besteht, daß ihr die Bühne wieder betretet, werden sie auf Euch warten und Euch drängen, weiterzumachen. Es ist doch so schön, sich verzaubern zu lassen!

Auch ihr dürft von der Bühne gehen, auch ihr habt ein Recht auf die Wendungen und Veränderungen, die das Leben nun einmal ausmachen. Auch ihr habt das Recht auf das eigene Leben.

PS:
Interessant auch die Bemerkung eines weitgereisten Teilnehmers des Workshops: „Nirgendwo auf der Welt ist so sehr wie in Deutschland, eigentlich in Europa, den Menschen das Gefühl abhanden gekommen, daß für ihr eigenes Leben zuallererst sie selbst verantwortlich sind.“