Freifliegende Emotionen, die sich Themen suchen…
Sobald ein Thema ihnen ein kleines Stück entgegenkommt, heften sie sich daran. Und dies kann durchaus gefährlich sein, weil so Situationen mit größerer Emotionalität aufgeladen werden, als eigentlich angemessen wäre.
Ein Beispiel: Wut,
… die Emotion, die uns hilft, unseren Raum zu verteidigen.
Da werden von jemandem die Grenzen verletzt und er kann, darf oder soll sich nicht für sich einsetzen. Ein Kind beispielsweise – es ist auf das Wohlwollen seiner Eltern angewiesen. Diese jedoch übertreten immer wieder seine Grenzen. Um das Wohlwollen der Eltern nicht zu gefährden, lernt dieses Kind, seine (berechtigte und sinnvolle) Wut „hinunterzuschlucken“. Es gewöhnt sich daran und wundert sich später vielleicht sogar, dass andere Menschen sagen, es wäre immer so „geladen“.
Nun, im Erwachsenenalter, übertritt ein Mensch seine Grenzen ein klein wenig, beispielsweise in dem er vergisst, im Supermarkt dieses Trennstöckchen aufs Band zu legen. Dann kann es sein, dass das ehemals verletzte Kind nun, im Erwachsenenalter, überreagiert, dass ihm „der Kragen platzt“ und es an der Supermarktkasse ernsthaft handgreiflich wird.
Die ehemals aufgestaute und nun freifliegende Emotion hat sich etwas gesucht, woran sie sich hängen konnte.
Das Schwierige an freifliegenden Emotionen ist,
… dass sie so unspezifisch umherfliegen. Der eigentliche Auslöser ist nicht mehr bewusst, nur die Emotion ist noch da. Es kann also sein, dass Menschen, die aus sehr verschiedenen, zum Teil sich widersprechenden, Gründen, Wut haben, ihre freifliegenden Emotionen an dieselbe aktuelle Situation hängen. So entstehen Emotions-Wellen. So entstehen auch gesellschaftliche Umbrüche.
Wenn die Welle später vorbei ist, wenn die Wut verraucht ist, werden den Menschen dann wieder ihre verschiedenartigen Interessen bewusst. Und sie sind enttäuscht, weil die große Einigkeit (in derselben Emotion) nicht bleibt oder kämpfen nun gar gegeneinander.
Aktuell heißt das
Wir haben in Deutschland in der „Coronakrise“ viele Beschränkungen und Verbote.
Zur Zeit kommen viele Menschen mit ihren ehemals aufgestauten und nun freifliegenden, Emotionen in Berührung – durch sehr verschiedene Anlasse ausgelöst: Die einen spüren ihre Wut, weil sie soviele Beschränkungen erdulden müssen. Andere sind wütend, weil sich manche Menschen nicht genug an die Beschränkungen halten. Und Dritte meinen, wütend zu sein, weil die Anderen so wütend sind.
Schwierig daran ist, dass berechtigte und freifliegende Emotionen schwer zu trennen sind. Gibt es einen kleinen Anlaß für die Emotion Wut, kann es sein, dass sich die zu anderen Themen aufgestaute „freifliegende“ Wut daran hängt. Wenn nun jemand kommt und all diese Wüte kanalisiert, indem er einen (relativ geringen) Anlass für Wut aufzeigt, könnte eine Menge Wut an eine Stelle geraten, wo sie nicht hingehört und wo sie (sinnlose) Zerstörung anrichtet.
Das ist mit anderen Emotionen, wie Angst und Schmerz, ebenso.
Deswegen: Passt auf euch auf! Gerade auch jetzt. Arbeitet daran, euch eure aufgestauten Emotionen bewusst zu machen oder sie gar abzutragen, damit sie nicht zu freifliegenden Emotionen werden, die sich an ein beliebiges Thema heften.
Lernt, bestmöglich aktuelle Emotion und aufgestaute Emotion zu unterscheiden.
Denn nur so, kannst du angemessen reagieren – mit dem Maß an Emotion, welches zur Situation passt, statt berechtigte Emotion zu unterdrücken oder zuviel Emotion unangemessen an der falschen Stelle abzuladen.