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Es kommt mir so vor, als bräuchte ich Ihre Erlaubnis,

Lebenswert Blog

Es kommt mir so vor, als bräuchte ich Ihre Erlaubnis,

…hörte ich ihn durchs Telefon sagen, den gestandenen Mann, erfolgreichen Unternehmer und Klienten von mir.

Wir arbeiteten bereits mehrere Monate zusammen. Er war gekommen, weil er sich nicht mehr als „ich selbst“ fühlte. Er war oft bei seiner Mutter, hatte kaum noch Zeit für sich, versuchte den Streit unter seinen drei Geschwistern zu moderieren und fuhr mit seinem Auto quer durch Deutschland hin und her.

Aufgewachsen war auf einem Bauernhof und hatte es früh gelernt, viel Verantwortung zu übernehmen. Da war die Landwirtschaft, da waren die drei Geschwister und da waren seine Eltern, die sich nicht gut verstanden.

Sein Bestreben war es immer gewesen,

… alle und alles zusammen zu halten. So half er dem Vater bei der Arbeit in der Landwirtschaft, verteidigte seine Mutter dem Vater gegenüber, versuchte dafür zu sorgen, dass die Geschwister „keinen Ärger machten“ und wenn er einmal Zeit für sich hatte, dann nur, wenn alle Arbeit getan war. Aus seiner Jugend erzählte er: „Sonnabends zum Tanz kam ich immer erst an, wenn alle Mädels schon vergeben waren.“

In der Schule war er gut, machte eine Lehre, studierte mit guten Ergebnissen und irgendwann kam eine attraktive Frau und nahm ihn. Er wurde beruflich erfolgreich, hatte bald zwei Kinder, ein Haus „und was so dazugehört“. „Eigentlich gab es nichts zu bemängeln.“

Doch irgendwann kriselte die Ehe.

Als er bemerkte, dass seine Frau ihn hintergangen hatte, traf ihn das tief. Er trennte sich von ihr, lebte nun allein und ihm war wichtig, einen guten Kontakt zu seinen nun schon jugendlichen Kindern zu haben. Das Unternehmen florierte und lief immer besser.

Und dann saß er vor mir, Mitte 40, beruflich und finanziell erfolgreich und persönlich unter Druck. Er fühlte sich in den Streit seiner Geschwister hineingezogen. Sein Vater war schon gestorben. Und seine Mutter machte ihn verantwortlich für alles, was in der Familie und auf dem Hof nicht lief.

Vom Verstand her war ihm klar, dass seine Geschwister erwachsene Menschen waren und für ihre Beziehung untereinander selbst verantwortlich. Auch vom Hof hatte er seinen Anteil abgegeben und insofern dort eigentlich nichts mehr zu regeln.

Doch da war dieses Gefühl,

…dieses getrieben sein, für Ordnung und Frieden sorgen zu müssen. Er war zu einem Teil immer noch der Junge, der versuchte, alle und alles zusammen zu halten.

Wir hatten in den letzten Wochen schon daran gearbeitet, dass er auch emotional mehr in sein eigenes Leben kommt und den anderen Menschen ihre Verantwortung für ihr Leben überlässt. Das war für ihn nicht leicht, weil er doch früher, mit seinem Engagement für die Familie, auch sehr um Anerkennung, ja sogar Daseinsberechtigung, gerungen hatte.

Anzuerkennen, und vor allem innerlich nachzuvollziehen, dass er nun erwachsen und nicht mehr von der Zuwendung bestimmter Personen (seiner Familie) abhängig war, war eine große Aufgabe für ihn.

Und nun unser Telefonat.

Er hatte sich in den letzten Wochen innerlich schon gut von den Verstrickungen seiner Familie lösen können und nun stand Ostern bevor. Er fühlte sich von seiner Mutter manipuliert, indem sie abwechselnd bettelte und drohte, dass er doch die Feiertage mit ihr und seinen Geschwistern sowie deren Familien verbringen sollte.

Er sprach mir gegenüber sehr klar davon, dass er dies nicht wolle. Und er sagte, dass er dies in den Telefonaten mit seiner Mutter „nicht aus dem Mund heraus“ bekäme. Er hatte mich angerufen und bat mich um Bestätigung, dass es in Ordnung sei, wenn er seiner Mutter absagte.

Und dann dieser Satz: „Es kommt mir so vor, Herr Lemke, als bräuchte ich Ihre Erlaubnis. Ist denn das nicht komisch?“ – Nein, das ist es nicht.

Natürlich geht es darum,

…dass sich jemand in so einer Situation selbst die Erlaubnis geben kann, das zu tun, was er möchte. Hat er, oder sie, es jedoch sehr gelernt, auf äußere Instanzen zu hören, also beispielsweise die kritischen Stimmen der eigenen Eltern sehr verinnerlicht, geht das nicht so einfach. Dann muss diese innere Instanz, die die positive Erlaubnis gibt, erst aufgebaut werden, wachsen und an Kraft gewinnen.

Dies war bei diesem Klienten insoweit schon geschehen, dass er im Alltag gut auch im Abstand zu seiner Herkunftsfamilie sein und für sich sorgen konnte.Doch nun kam die Ostersituation, aufgeladen durch Tradition und Emotionen, und die kritischen Stimmen im Inneren gewannen wieder an Kraft. Die positiven, selbstaufbauenden und stärkenden Stimmen unterlagen.

In so einer Situation ist es äußerst kompetent,

… die inneren positiven Stimmen mit äußeren positiven Stimmen zu verstärken. Und so verstärkte also meine Erlaubnis, als Coach, das innere wohlwollende Eltern-Ich.

Ziel ist es natürlich, dieses innere wohlwollende Eltern-Ich so zu stärken, dass der Klient in Zukunft ohne mich auskommt. Doch in einer Übergangsphase ist dieses Stärken von außen nicht nur hilfreich, sondern oft sogar notwendig, um ein Gegengewicht zu dem übergroßen kritischen Eltern-Ich zu haben.

Bei diesem Klienten bin ich mir recht sicher, dass dieser bewusste Schritt, sich Unterstützung zu holen an der Stelle, wo er sie gerade braucht, die inneren positiven Stimmen stärkt und einen Zuwachs an Selbskompetenz bringt.

PS: Alle Fallskizzen sind im Wesentlichen so geschehen, jedoch hier verändert beschrieben, um die Privatsphäre meiner Klient*innen zu schützen.